Welcome to Zurich!

Mit Touristen zu Besuch in der Limmatstadt und auf dem Zürichsee.

Über sechs Millionen Menschen besuchen jedes Jahr die Tourismusregion Zürich. Aber was sehen eigentlich Touristen, wenn sie mit einem Reiseanbieter Zürich und den See entdecken? Die ZSZ ist mitgereist.

Von Conradin Knabenhans (Text) und Moritz Hager (Fotos).

Am Zürcher Sihlquai kommt Schulreise-Feeling auf. Reiseführerin Valerie Panzer zählt die Touristengruppe durch, dann kann die «Zürich with Cruise & Chocolate»-Tour losgehen. Kontrollieren, ob auch wirklich alle der rund 40 Gäste an Bord des Reisecars sind, das wird Valerie Panzer noch einige Male tun während der fünfstündigen Tour an diesem Nachmittag.

Und dennoch: Touristen, das sind für sie nicht Nummern, Familie nennt sie die Gäste. Kein Wunder, verzichtet sie auch auf das formale Sie. Sie ist einfach Valerie. Daran sollen sich alle Gäste halten. «Offen sind wir hier», sagt sie. Aber ohnehin, Frau Panzer, das würde zu streng klingen für die 64-Jährige, die jedem Gast an diesem Nachmittag ein Lächeln schenkt. Heute ist sie das Gesicht von Zürich.

Die Touristen steigen in den Reisebus ein.

Die Touristen steigen in den Reisebus ein.

Der Bus fährt los, Valerie begrüsst mit etwas Small Talk die Gäste – immer in Deutsch und Englisch. Die Infos sind kurz und knapp: Links sehen Sie die Limmat, «very clear water».

Die bis anhin freundliche Atmosphäre wird nach wenigen Fahrminuten jäh durchbrochen. «Turn the volume up!», gellt es aus der Busmitte. Eine US-Amerikanerin, später wird sie sich als Nancy und ehemaliges Mitglied der US Army vorstellen, hört zu wenig von Valeries Zürich-Erklärungen. Die Reiseleiterin ist sich solche Zwischenrufe offenbar gewöhnt. Ein Lächeln mehr, die Lautstärke etwas rauf, «äxgüsi ich habe mich selbst gehört». Nancy ist zufrieden.

Kein Postkarten-Zürich

Auf Schleichwegen geht es durch die Stadt, vorbei an der Migros und Zürichs ältester Synagoge an der Löwenstrasse. Die Häuserschluchten von Zürich öffnen den Blick zum Paradeplatz einzig für Millisekunden. Das Postkarten-Zürich blitzt für Gäste nur zwischendurch auf. Wer die Bahnhofstrasse oder die Altstadt entdecken möchte, wäre mit dem Tram besser bedient. Dem Car bleibt nur die Hinterbühne.

Schon geht es weiter Richtung Bahnhof Enge. Auf der linken Seite ist das Fifa-Museum zu sehen. «Alles Mafia!», zischt der deutsche Rentner in der vordersten Reihe. «Nein, die Mafia ist anderswo, hier ist nur das Museum», sagt Valerie. Sie lächelt.

Ein erster Foto-Stopp

Erster Halt, der Zürcher Hafen. «Harbour of Zurich», das klingt so weltstädtisch für die Ansammlung der kleinen Boote. Zehn Minuten bleiben der Gruppe, um Fotos zu machen. «Und bitte pünktlich zurück sein! Wer eine WC-Pause einlegen muss, bitte jetzt. Danach gibt es längere Zeit keine Gelegenheit mehr. Und denken Sie bitte daran: Zehn Minuten!»

Der «Harbour of Zurich» wird auf vielen Erinnerungsfotos festgehalten.

Der «Harbour of Zurich» wird auf vielen Erinnerungsfotos festgehalten.

Die Fotopause gibt Gelegenheit, um mehr zu erfahren über Valerie. Einst hat sie Übersee-Telefonistin gelernt und in der Telefonzentrale mit den «Stöpseln» noch Gespräche vermittelt. Die Modernisierung der Telefonie macht den Job hinfällig. Valerie arbeitet am Flughafen Zürich für die Swissair, ein Jahr vor dem Grounding der Fluggesellschaft wird sie für mehrere Jahre Reiseleiterin in Südamerika. Und nun begleitet sie Touristen durch die Schweiz. Seit zehn Jahren arbeitet sie für das Adliswiler Unternehmen Best of Switzerland Tours. Zürich, Luzern, Interlaken, Titlis und so weiter. Das Unternehmen gehört zu den grossen Playern im Schweizer Touristenbusmarkt.

Ein Sprachtalent

Sich mit den Touristen verständigen ist kein Problem. Valerie spricht Deutsch, Französisch, Italienisch, Englisch, Spanisch, Portugiesisch und Serbokroatisch. Warum Serbokroatisch? «Damals war der Russischkurs schon ausgebucht.» Das Gespräch mit Valerie ist nach exakt acht Minuten Halt zu Ende. Sie zückt ihre rote Reiseleiterinnen-Flagge und winkt. «To the bus!» Bis alle wieder im Bus sitzen, wird die Pause trotzdem 15 Minuten gedauert haben.

«To the bus!»

Valerie, Reiseführerin

Die Intellektuellen vom Odeon

Weiter gehts mit Tempo: Vorbei am Bürkliplatz, noch eine kurze Erklärung zum Circus Knie und ein Wort zum Café Odeon. Ganz typisch für die sehr knappen Erklärungen auf dieser Stadtrundfahrt wird das Historische auch hier grosszügig zusammengefasst. «Das Odeon war ein Treffpunkt für viele Intellektuelle: Einstein, Mussolini, Lenin oder Kafka.»

An dieser Kombination von «Intellektuellen» vergnügt sich Josephine noch den ganzen Nachmittag. Die 24-Jährige stammt aus Norddeutschland, hat unter anderem Kulturgeschichte studiert und macht nun ein Praktikum bei einem Berner Musikfestival.

«Mit meinen Eltern kam ich über viele Jahre in die Schweiz in die Ferien. Nun hatte ich Zeit und Lust auf eine richtige Touri-Tour.» Dafür ist sie bereit, 58 Franken zu bezahlen. Als junge Alleinreisende passt Josephine nicht so recht ins Bild der übrigen Gäste. Viele sind Rentner oder reisen mit ihrer Familie.

Josephine sagt: «Ich komme eigentlich nur wegen der Schokolade auf diese Tour.» Sie lacht. Für einen kurzen Augenblick ist nicht klar: Meint sie das ernst, oder liegt hier Sarkasmus in der Luft?


Josephine aus Norddeutschland hatte Lust auf eine Touri-Tour.

Eine letzte Reise

Aussteigen ist angesagt. Mit der Dolderbahn geht es hoch über die Stadt. Nur noch einen Stehplatz hat sich Phyllis ergattert. Für die rüstige Rentnerin aus North Carolina spielt das keine Rolle. Sie ist einfach froh, hier zu sein. «Einmal im Leben die Alpen sehen, das war mein Ziel», sagt die 89-Jährige. Ihre Stimme stockt: «Vielleicht ist das unsere letzte Reise», sagt sie und deutet auf ihren Mann, der deutlich weniger gut zu Fuss unterwegs ist. Beim Ausblick über die Stadt, den Zürichsee und bis in die Alpen ist der Anflug der Traurigkeit gleich wieder vergessen.


Die teure Nacht im Dolder

Noch bevor ein Bentley um die Ecke braust, nimmt der indische Arzt Thomas Notiz von den «posh surroundings» im Dolder-Quartier. Chic, vornehm und herausgeputzt wirkt Zürich hier. Sauber und grün sei die Stadt, ist immer wieder zu hören. Auch Thomas spricht vom guten Ruf, den die Schweiz in Indien geniesse. Dass die Inder wegen der Bollywoodfilme hierherkämen, das hält er wiederum für ein Klischee. Jetzt ist er da, weil seine drei Grosskinder unbedingt das Alpenland auch einmal sehen wollten.



Auch wenn die Teilnehmer dieser Tour in der Tendenz aus gut situierten Verhältnissen kommen, bleibt bei der Frage von Valerie vielen der Atem weg. Was eine Nacht im Dolder-Türmchen denn kostet? Um die 1000 Franken wird geschätzt. Mit den fast 15000 Franken rechnet dann aber niemand. Lange diskutiert wird darüber allerdings auch nicht. Erstens ist die Schweiz teuer, und zweitens gibt es jetzt im Car wieder neue Ecken zu sehen. Das «Home of Fifa» beim Zoo – ja, hier sitzt jetzt die Mafia, kommentiert Valerie – wird ebenso fotografiert wie die ETH.

Schokolade zur Aufmunterung

Beim Fraumünster angekommen, endet die Car-Tour. Als Verpflegung wird den Touristen ein kleines Stück Lindt-Schokolade gereicht. Nancy ergattert das letzte Stück: «Man könnte meinen, es sei Gold», kommentiert sie das allzu herzhafte Zugreifen einiger Mitreisenden.

Nun muss Valerie aufs Tempo drücken. Durch den Fraumünster-Gang, der Nationalbank entlang gehts zur Schiffsstation am Bürkliplatz. Jonathan, der Kanada-Philippiner, ermahnt Valerie, das Tempo zu drosseln. Seine zwei Familienmitglieder Elsa und Teofista könnten nicht mehr so schnell laufen. Valerie wartet kurz, muss dann aber weiterziehen.

Jonathan selbst treibt seine Verwandten an, ohne seine eigentliche Aufgabe aus den Augen zu verlieren. Er streamt die gesamte Stadttour live auf Facebook. Warum? Auf diese Frage eine Antwort zu erhalten, ist schwierig, Jonathan ermuntert den Reporter vielmehr, sich seinem Publikum gleich selbst vorzustellen. Very nice, thank you, weiter gehts.


Süsse Versuchung: Ein Schoggi-Täfeli.

Immer auf Sendung: Jonathan.

Immer auf Sendung: Jonathan.

Achtung, Tina!

Mit der MS Säntis geht es zum letzten Punkt der Stadtrundfahrt: dem Lindt-Shop in Kilchberg. Auf der kleinen Rundfahrt der ZSG mischen sich Touristen und Ausflügler. Hier auf dem See prallen Welten aufeinander: Ein Rentnerpaar aus Oetwil am See geniesst zum Zvieri ein Stück Kirschtorte und einen Coupe Neptolino, der Inder Thomas und seine drei Enkelkinder ordern am Tisch gegenüber Schnitzel und Pommes.

Valerie hat nun endlich Zeit, selbst auch etwas durchzuschnaufen. Sie erzählt von ihren Abenteuern mit den Touristengruppen – Touren mit Gästen aus aller Herren Länder wie diese hier mag sie lieber als ein Car mit einer fix zusammengestellten Reisegruppe, wie es die Chinesen häufig buchen.

«Irgendwann schreibe ich glaub ein Buch über meine Erlebnisse», meint die 64-Jährige und beantwortet damit gleich selbst, warum sie die Rundfahrten noch viele Jahre begleiten will.

Die Episoden haben zweifelsohne Unterhaltungscharakter: etwa, wie sie den chinesischen Privattouristen überzeugen musste, sich nicht in ein Rapsfeld zu legen, um von oben fotografiert zu werden. Oder wie sie ihm mit einer Fahrt über den Albispass die Idee austrieb, in nur drei Stunden noch die Alpen zu besuchen.

Die Geschichte nimmt ein abruptes Ende. Jetzt muss Valerie möglichst vielen Gästen noch erzählen, dass sie nun in Küsnacht Tina Turners Haus sehen könnten. Es wird während der Schifffahrt als einzige Sehenswürdigkeit auch auf der extra verteilten Zürichsee-Karte markiert.


Valerie arbeitet seit zehn Jahren für die Adliswiler Best of Switzerland Tours AG.




Die Schweiz ist klein

In Kilchberg steigt die bunt gemischte Reisegruppe aus. Der Fussmarsch den See entlang zu Lindt&Sprüngli bietet die Gelegenheit, den Gästen noch einige Fakten über die Schweiz zu vermitteln. Nur 430000 Personen leben also hier?, fragt ein Australier und blickt fragend seeaufwärts. Dass Kilchberg nicht mehr zur Stadt Zürich gehört, ist für den Rentner aus dem Bundesstaat Queensland – mit 7000 Kilometer Küste – schwer zu begreifen.

Die kurzen Distanzen und die guten Verbindungen mit dem öffentlichen Verkehr machen denn auch Ausflüge möglich, die wiederum die Schweizer ins Staunen versetzen. Stolz berichtet eine Familie aus Atlanta von ihrem Ausflug auf Titlis und Pilatus – an einem einzigen Tag, versteht sich.

Endlich Schokolade

Als das Lindt-Logo zu erspähen ist, schallt es «Chocolate, chocolate»-Rufe durch die Gruppe. Der Besuch im Schokoladen-Shop als Touristenfalle? Nein, davon spricht hier niemand. Zu betörend scheint der süsse Duft, der über dem Kilchberger Lindt-Areal liegt.

Klar, könnte sie Lindt-Schokolade auch in den USA kaufen, meint Nancy aus South Dakota. Aber nur «once in a lifetime» könne man das genau dort tun, wo die Schokolade auch herkomme.

30 Minuten bleiben den Touristen, um sich im Shop einzudecken. Für einen Moment beendet auch der Kanada-Philippiner Jonathan seinen Livestream. Er rennt mit Einkaufswagen kreuz und quer durch den Laden. Schüttelt hier und dort an den Verpackungen, legt die Schokolade gleich stapelweise in den Wagen.

Essen - aber nicht kaufen

Am Fotopoint im Laden schiesst Josephine aus Hamburg ein Foto mit Medizindoktorandin Hosim aus Melbourne. Die beiden haben sich während der Tour kennen gelernt und sogleich über die sozialen Medien vernetzt.

Die Australierin kann der Schokolade nicht widerstehen und füllt Lindor-Kugeln am Laufmeter in die Tüte. «Zu Hause haben alle von Lindt erzählt, da muss ich einfach etwas kaufen.»

Josephine verzichtet als Einzige der 40-köpfigen Gruppe auf den Einkauf. «Schokolade kann ich auch im Supermarkt kaufen», sagt sie schmunzelnd. Wohl wissend, den Reporter am Nachmittag während der Carfahrt mit ihrem Sarkasmus erwischt zu haben. Als Hosim dann die soeben gekaufte Schokolade aber in der Runde anbietet, greift auch sie herzhaft zu. Eine solche «Touri-Tour» hat eben so oder so ihre Schokoladenseiten.

«Schokolade kann ich auch im Supermarkt kaufen»

Josephine, Touristin

Zwei Touristen aus den USA machen Jagd auf die Schokolade.

Zwei Touristen aus den USA machen Jagd auf die Schokolade.

Erst die Ankunft am Sihlquai holt die Reisenden aus ihren süssen Träumen zurück.

Digitale Umsetzung: Conradin Knabenhans

Digitale Umsetzung: Conradin Knabenhans

© Tamedia