Schulsilvester: Blick zurück auf einen fast verschwundenen Brauch

Pfannendeckel und Büchsen, Rasierschaum und WC-Papier: Sie sind Symbol für den Schulsilvester. Seit über 100 Jahren wird der letzte Schultag vor den Weihnachtsferien zelebriert, und lange gehörte es dazu, dass die Schüler scheppernd durch die Quartiere zogen, bis das ganze Dorf wach war. Vielleicht begingen sie auch noch den einen oder anderen Streich.

Mittlerweile bleibt es vielerorts ruhig. Zwar wird der Brauch in einigen Gemeinden noch traditionell praktiziert, begleiten die Lehrer die Schulkinder singend oder lärmend durchs Dorf. Oft aber organisieren die Schulen in den frühen Morgenstunden ein Programm: Sie unternehmen Wanderungen, betreiben eine Disco, zeigen Filme und organisieren zum Jahresschluss ein gemeinsames Frühstück. Auch mit dem Ziel, die Kinder von der Strasse fernzuhalten. Denn vor allem zu Beginn dieses Jahrhunderts begannen die harmlosen Streiche in Vandalenakte auszuarten. Knallkörper in Briefkästen und Sprayereien waren plötzlich Teil des Schulsilvesters. Diese negativen Begleiterscheinungen sind wohl auch dank der Massnahmen der Schulen wieder zurückgegangen.

Fast alle haben Erinnerungen an den Schulsilvester. Auch wir auf der Redaktion. Einige Anekdoten teilen wir gerne mit unseren Leserinnen und Lesern.

Wenn der Lehrer eine Garage benötigt

Mein Hang zu Lärm und Schalk hätte perfekt zum Schulsilvester gepasst. Zum Glück für meine Heimatstadt gab es diesen Brauch in Wien nicht. Kennen gelernt habe ich ihn erst als Erwachsener in Stäfa. Ein lieber Nachbar fragte, ob er sein Auto für eine Nacht in unsere Garage stellen dürfe. Meine Unwissenheit klärte er auf: «Morgen ist Schulsilvester, ich bin Lehrer und die Schüler kennen mein Auto.»

Wirklich verstanden habe ich das erst am nächsten Tag. Da wachte ich auf durch grelles Kindergeschrei, scheppernde Pfannendeckel und knatternde Kracher. Ich sah Briefkästen und Autos, die mit WC-Papier eingewickelt waren, als ob sie Mumien wären. Zur Garnierung verwendeten die von anarchistischer Freude getriebenen Schüler Ketchup, Senf und Rasierschaum. Sie boten mir Anschauungsunterricht in Sachen Zürcher Brauchtum – drei Monate bevor ich den Böögg erstmals erblickte.

Unser Auto blieb übrigens verschont. Und der liebe Nachbar baute bald seine eigene Garage.

Christian Dietz-Saluz

«Die Todeskralle schlägt wieder zu»

Schulsilvester, das bedeutete bei uns in Schönenberg vor allem eines: lange wach bleiben, früh aufstehen und «krasse» Sachen machen. Damit meine ich aber nicht Autos mit WC-Papier einwickeln oder Rasierschaum in Briefkästen sprühen. «Krass» war für mich und meine damaligen Primarschulfreunde eher das Kinoprogramm, das wir uns in der Silvesternacht «reinzogen».

Einer aus unserer Gruppe brachte stets einen Film auf VHS-Kassette mit (es waren die 80er-Jahre), der im Ruf stand, besonders «krass» zu sein. Die Filme trugen klingende Namen wie «American Ninja» oder «Die Todeskralle schlägt wieder zu». Immer ging es um einen Kampfsportexperten, der Bösewichte am Laufmeter verprügelte. Aus heutiger Sicht waren diese Streifen alles andere als «krass», sondern harmloser Schrott. Aber das war uns völlig egal: Unser Schulsilvester war damit lanciert.

Martin Steinegger

Die Optik ändert sich mit den Jahren

Den eigenen Schulsilvester habe ich viele Jahre lang verklärt. Jedes Mal, wenn wieder Schlagzeilen über verschmierte Autos und abgefackelte Briefkästen zu lesen waren, erinnerte ich mich an die eigene, vermeintlich heile Welt. Wie war das aufregend, mitten in der Nacht aufzustehen, sich in warme Kleider zu stürzen und mit den vielen Nachbarskindern lärmend durch die verschneiten Strassen in Wädenswil zu ziehen.

Vor dem Haus der griesgrämigen Frau Burri, die jeden Samstag die Fenster putzte und meinen Namen nicht kannte, trommelte ich besonders laut. Auch dem tobsüchtigen Herrn Schmied wollte ich es lange und lautstark heimzahlen, dass er sich jeweils beklagte, wenn wir vor seinem Haus spielten. Das ist lange her. Seit meine vielen, lieben Nachbarskinder den Schulsilvester feiern, bin ich erleichtert, wenn sie vor meiner Wohnung nicht extra laut Lärm schlagen.

Daniela Haag

Hotelgast aus den Federn geholt

Einer meiner Brüder und sein Kollege hatten Anfang der 90er-Jahre am Schulsilvester ein besonders amüsantes Erlebnis. Die Burschen hatten eine Autohupe sowie ein Blendlicht organisiert, um allen schlaftrunkenen Bürgern so richtig einzuheizen. Station machten sie auch an einem bekannten Küsnachter Hotel am See. Als die Jungs frischfröhlich am Hupen und Blenden waren, riss ein deutscher Hotelgast entnervt das Fenster auf und bellte runter: «Wenn ihr nicht sofort aufhört, rufe ich die Polizei!»

Nach dieser Drohung wurde die Hupe natürlich besonders lang gedrückt, bevor die Schüler das Weite suchten. Als sie sich Hunderte von Metern später umdrehten, erblickten sie den Teutonen, der ihnen im kurzen Turnhöschen und mit grimmiger Miene nachjoggte. Als er sie einholte, ver­sicherten ihm die beiden, dass sie noch so gerne mit ihm zur Polizei gingen. Erst da liess er von ihnen ab.

Philippa Schmidt

Stilvoll lärmen

Mein erster Schulsilvester war gleichzeitig auch der letzte, an dem ich mich bei Nacht und Nebel gemeinsam mit meinen Freunden auf den Strassen unseres Dorfes herumtrieb. In den Folgejahren zog ich es dann vor, die frühmorgendlichen Stunden im warmen Bett zu verbringen und mich erst für den traditionellen Filmvormittag in der Schule blicken zu lassen.

Aber zurück zu jenem Morgen anno 1999 auf der Forch: In Erinnerung bleibt mir dieser nicht wegen eines Lausbubenstreichs, den ich in meiner jugendlichen Naivität mitbegangen hätte. Dafür war ich schlicht zu brav. Aber ich kann das Blechdosenkonstrukt, welches mein Vater in stundenlanger Handarbeit gebastelt hat, noch heute vor meinem inneren Auge sehen. Fein säuberlich hatte er unzählige Dosen an ebenso viele Schnüre geknüpft. Und auch eine praktische Trageschlaufe, in der alle Fäden zusammenliefen, fehlte nicht. Wenn schon lärmen, dann mit Stil.

Fabienne Sennhauser

Bilder: Keystone, Manuela Matt
Videos: SRF Archiv, Youtube, Facebook
Digitale Umsetzung: Martin Steinegger

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