Mit ausgeprägtem Familiensinn

Die Schnorfs im Porträt

Familienfoto von circa 1905: Albert Schnorf-Flury (3. Generation) mit seiner Frau Luise, den Söhnen Paul und Albert (mit Ehegattinnen) sowie Tochter Rosalie und drei Enkelkindern. Bild: Chemische Fabrik Uetikon.

Familienfoto von circa 1905: Albert Schnorf-Flury (3. Generation) mit seiner Frau Luise, den Söhnen Paul und Albert (mit Ehegattinnen) sowie Tochter Rosalie und drei Enkelkindern. Bild: Chemische Fabrik Uetikon.

Neujahrsempfang des Kaders der Chemischen fabrik Uetikon, um 1916. Büroangestellte, Chemiker und Techniker versammelten sich im Park der Villa Flury. Die Aufnahme arrangierte Albert Schnorf-Schlegel (auf Stein sitzend) mit einer Selbstauslöser-Kamera. Bild: Uetiker Museum.

Neujahrsempfang des Kaders der Chemischen fabrik Uetikon, um 1916. Büroangestellte, Chemiker und Techniker versammelten sich im Park der Villa Flury. Die Aufnahme arrangierte Albert Schnorf-Schlegel (auf Stein sitzend) mit einer Selbstauslöser-Kamera. Bild: Uetiker Museum.

Es braucht nicht viel, bis eine Familie faktisch nur noch auf dem Papier besteht: Streit ums Erbe oder der fehlende Wille zum Zusammenhalt reichen aus. Auf die Uetiker Fabrikantenfamilie Schnorf und ihre Nachkommen trifft weder das eine noch das andere zu. Zwar ist es kaum denkbar, dass es in der 200-jährigen Geschichte der Chemischen Fabrik Uetikon innerhalb der Gründerfamilie und ihrer Nachkommen nicht auch zu ernsthaften Konflikten kam. Auch hat sich die Familie über die lange Zeitspanne zigfach verzweigt.

Tatsache ist aber, dass die direkten Nachkommen der Gründer bis in die vierte Generation das Unternehmen alleine führten und noch heute die strategische Richtung der Unternehmensgruppe mitbestimmen. Wer sind die Schnorfs, die einen kleinen Betrieb gründeten und zur industriellen Fabrik ausbauten, sich in einem dynamischen und kapitalintensiven Umfeld in Zeiten des Umbruchs behaupteten und bis heute aktiv sind?

Wille zur Selbstständigkeit

Schon zu Beginn spielte die Familie eine entscheidende Rolle. Im Januar 1818 gründeten die Brüder Heinrich, Rudolf und Kaspar Schnorf die Firma. Unterstützt wurden sie von ihrer Schwester Elisabetha, die einen ansehnlichen Betrag an Kapital zur Verfügung stellte. Die Geschwister waren in eine politisch unsichere Zeit hineingeboren worden und erlebten den Zusammenhalt in der Familie und den Verlass auf die eigene Initiative als Grundlage ihrer Existenz. In dieser Erfahrung verortet der Verfasser der Jubiläumsschrift zum 175-jährigen Bestehen der Firma den aufkeimenden Willen zur späteren Selbstständigkeit.

Die Schnorfs lassen sich in Uetikon bis ins 14. Jahrhundert zurückverfolgen. Der Vater der Gründerfamilie war als Schiffer tätig, wodurch seine Kinder vermutlich zum ersten Mal mit dem Handel von Chemikalien in Kontakt kamen. Die Familie hatte es in Uetikon bereits zu etwas gebracht. Sie besass ein Stück Land, das sie bewirtschaftete, und eine Liegenschaft am See – die später Stammhaus genannt wurde. Der Vater der Gründergeschwister genoss das Vertrauen der Gemeinde und hatte regelmässig Botengänge und Aufträge in Zürich zu erledigen.


Söhne bewährten sich

Die Familie pflegte schon damals Kontakte zur weiteren Verwandtschaft. So wurden Heinrich und Rudolf nach Zürich zu einem Onkel, der eine Baumwollspinnerei mitbegründet hatte, in die Lehre geschickt. Beide bewährten sich und lernten dort Entscheidendes für ihre spätere eigene Selbstständigkeit. Dieser war allerdings zunächst kein Erfolg beschieden: Heinrich Schnorf versuchte nämlich zuerst, eine Baumwollspinnerei einzurichten. Erst der zweite Versuch mit der Produktion von Kupfer- und Eisensulfat und Schwefelsäure gelang.

Kern der Schnorf-Dynastie

Lernwille, Fleiss und Hartnäckigkeit – diese Eigenschaften sind auch in den nachfolgenden Generationen zu finden. Als Nachkommen in der zweiten Generation waren die beiden Söhne von Rudolf Schnorf bestimmt worden, in die Firma einzutreten. Von einem der beiden, Rudolf II., stammt die Schnorf-Dynastie ab, die noch heute in der Firma aktiv ist. Er heiratete Luise Hauser, die Tochter eines Färbers. Drei ihrer insgesamt sieben Kinder zeugten wiederum Nachkommen, die inzwischen im gut 50-köpfigen Familienaktionariat der CPH vertreten sind. Sie heissen aber längst nicht mehr nur Schnorf, sondern auch Debrunner, Schaub, Geilinger, Kind oder Näf.

1850/51 war für die Familie ein Schicksalsjahr: Der junge Heinrich Schnorf, kaufmännischer Leiter des Unternehmens, und die beiden Firmengründer Rudolf und Kaspar Schnorf starben. Rudolf II., 35-jährig und siebenfacher Vater, übernahm als einziger Hinterbliebener die Geschicke der Firma. Er baute das Unternehmen, das damals 30 Mitarbeiter hatte, von der gewerblichen zur industriellen Produktion aus. Er konnte selber jede Arbeit verrichten und war, so die Überlieferung, der Erste am Morgen und der Letzte am Abend. Von seiner Umgebung wurde er als streng und energisch, aber auch als gütig und bescheiden beschrieben; seine Frau Luise als frohmütig, arbeitsam und tiefgläubig. Noch immer lebten sie im Stammhaus am See, direkt neben der Fabrik.







«Ich spüre sehr viel Wohlwollen, Unterstützung und Interesse seitens der Familie.»

Peter Schaub, CPH-Verwaltungsratspräsident und Nachkomme in der siebten Generation

Ein Bild der beiden Brüder von Albert Schnorf-Flury: Der kinderlose Rudolf lll. und der früh verstorbene Karl Schnorf. Bild: Archiv Chemische Fabrik Uetikon

Ein Bild der beiden Brüder von Albert Schnorf-Flury: Der kinderlose Rudolf lll. und der früh verstorbene Karl Schnorf. Bild: Archiv Chemische Fabrik Uetikon

Aus Gebrüder Schnorf wird die Aktiengesellschaft Chemische Fabrik Uetikon. Um die Jahrhundertwende ist sie die grösste chemische Fabrik in der Schweiz mit rund 200 Mitarbeitenden. Die Marktanteile bei Schwefelsäure in der Schweiz betragen rund 50%, beim Dünger rund ein Viertel. Für Salz, Salpeter- und Mischsäuren ist sie die einzige Anbieterin. Bild: Archiv ETH.

Aus Gebrüder Schnorf wird die Aktiengesellschaft Chemische Fabrik Uetikon. Um die Jahrhundertwende ist sie die grösste chemische Fabrik in der Schweiz mit rund 200 Mitarbeitenden. Die Marktanteile bei Schwefelsäure in der Schweiz betragen rund 50%, beim Dünger rund ein Viertel. Für Salz, Salpeter- und Mischsäuren ist sie die einzige Anbieterin. Bild: Archiv ETH.

Auch die Übergabe an die nächste Generation glückte. Die Söhne Rudolf III. und Albert Schnorf wurden im In- und Ausland für ihre Aufgabe im Unternehmen ausgebildet. Der jüngste Sohn Karl war mit der Landwirtschaft verbunden und erwarb in Uetikon einen eigenen Gutsbetrieb. Von ihm stammt jener Rudolf Schnorf ab, der heute neben dem Verwaltungsrat der Muttergesellschaft der CPH auch jenen der UBV-Immobilienfirmen präsidiert.

Zunehmender Einfluss

Mit dem Ausbau der Fabrik erhöhte sich das Vermögen der Familie, und ihr Einfluss nahm zu. Ihre Arbeiter galten als gut bezahlt. Ab den 1860er-Jahren unterstützte die Familie gemeinnützige Anliegen in Uetikon. Sie liess unter anderem den ersten Dampfschiffssteg bauen, gründete 1887 den ersten Kindergarten, spendete 1893 an den Bau des Altersheims Wäckerlingstiftung 100 000 Franken. Dieses Engagement fand im 20. Jahrhundert seine Fortsetzung im Bau des Wohlfahrtshauses, des Sekundarschulhauses und der Förderung einer eigenen Sekundarschule. Familienmitglieder übernahmen in der Gemeinde politische Ämter und waren über Jahrzehnte in der Schulpflege vertreten. Mit Ausnahme von Karl Schnorf, der für kurze Zeit im Kantonsrat sass, zog es die Familie weder in die kantonale noch nationale Politik.

Trotz des stets wachsenden Vermögens schafften es die Schnorfs, Nachfolge und Erbe einvernehmlich zu regeln. Aber sie waren während vieler Jahre in einen erbitterten Landstreit verwickelt. Nachbar Johannes Wäckerling bekämpfte mit Einsprachen die Vergrösserung der Fabrik und verfügte bei seinem Tod, dass sein Grundstück und Vermögen nach dem Ableben seiner Schwester der Einrichtung eines Altersasyls zu dienen habe. Dieses Haus wurde schliesslich gebaut – aber dank dem Verhandlungsgeschick der Schnorfs an einem anderen Ort in Uetikon. Dabei liess es die Familie nicht bewenden: Sie spendete für den Bau des Altersheims einen stattlichen Betrag und förderte das Heim auch später.

Probleme mit Nachfolge

In der vierten Generation standen die Söhne von Albert Schnorf in der Verantwortung. Mit der fünften Generation ging das patronal geführte Familienunternehmen zu Ende. Erstmals kristallisierte sich kein «natürlicher» Nachfolger aus der Familie heraus. So beschreibt es Wirtschaftshistoriker Matthias Wiesmann in seinem in Kürze erscheinenden Buch zur Geschichte der Firma. «Mit der Ablösung von Paul II. Schnorf war der Übergang zu einer neuen Generation erstmals sehr unsanft abgelaufen.» Mit Jakob Hepp stand deshalb Ende der 1960er-Jahre zum ersten Mal ein Mann an der operativen Spitze des Unternehmens, der nicht aus der Familie stammte.

Hingegen ist das Verwaltungsratspräsidium der 1899 gegründeten Aktiengesellschaft, heute die CPH Chemie + Papier Holding AG, in Familienhand geblieben. Aktuell hat dieses Amt der Anwalt Peter Schaub inne. Er ist in der siebten Generation über seine Mutter ein direkter Nachkomme der Gründerfamilie Schnorf. Rund 75 Prozent der Aktien sind in Familienhand, auf die Uetikon Industrieholding und gut 50 Familienmitglieder verteilt, wobei vier Personen etwas grössere Aktienpakete besitzen.

Wie steht es heute um den familiären Zusammenhalt? «Er ist immer noch stark ausgeprägt», sagt Schaub. Er spüre sehr viel Wohlwollen, Unterstützung und Interesse seitens der Familie – insbesondere auch in der schwierigen Zeit seit der Wirtschaftskrise von 2008 und der Frankenaufwertung. Ob die achte Generation dereinst in die Fussstapfen der Vorfahren treten wird, ist noch offen.

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