Die erste Eisenbahn am rechten Ufer rollte auf dem Gelände der Chemie Uetikon

1910 waren zwei Dampflokomotiven für den internen Transport im Einsatz. Im Vordergrund wird Dünger in einen gedeckten Güterwagen eingeladen, die Lokomotive in der Mitte transportiert einen Kesselwagen mit Schwefelsäure. Bild: Uetiker Museum.

1910 waren zwei Dampflokomotiven für den internen Transport im Einsatz. Im Vordergrund wird Dünger in einen gedeckten Güterwagen eingeladen, die Lokomotive in der Mitte transportiert einen Kesselwagen mit Schwefelsäure. Bild: Uetiker Museum.

Hansruedi Knopf verbrachte 40 Jahre im Betrieb und kennt die Geschichte der Betriebseisenbahn

Bild: Manuela Matt.

Bild: Manuela Matt.

100 000 Tonnen Fertigprodukte verliessen die Chemische Fabrik Uetikon zu den besten Zeiten. Und gleich viel Ware wurde als Rohstoff eingekauft. Dazu brauchte man täglich bis zu 50 Last- und Lieferwagen oder 10 bis 30 Bahnwagen. Die Zahlen stammen aus berufener Quelle. Hansruedi Knopf sitzt in einem gemütlichen Holzhaus mitten in einem gepflegten Garten.

Sein beruflicher Werdegang führte ihn durch alle Bereiche der Chemischen Fabrik Uetikon. Telefonzentrale, Postbüro, Einkauf, Verkauf, Zahlungswesen und Spedition. Ungefähr in dieser Reihenfolge. Er kannte sozusagen jede Schraube in der Fabrik aus eigener Anschauung. In dieser Zeit hat er zahlreiche organisatorische Umbauten der Firma erlebt und musste sich immer wieder an neue Vorgesetzte, neue Betriebsabläufe und neue Aufgaben gewöhnen. Doch er tat es gern. Seine besondere Fähigkeit, beschreibt er, seien Anpassungsfähigkeit und Flexibilität. Sonst wären ihm die 40 Dienstjahre beim grössten Arbeitgeber in der Gemeinde Uetikon wohl lang geworden.

Betriebsbahn war zuerst

Angefangen hat er als Stationsbeamter bei den Bundesbahnen und mit der Bahn hatte er zu tun bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2004. Allerdings nicht in erster Linie mit der Bundesbahn, sondern mit der Betriebsbahn der Chemischen Fabrik Uetikon, die immerhin stolze fünf Kilometer Geleise und 30 Handweichen umfasste. Das Unternehmen hatte eine Betriebsbahn mit Normalspur bevor die damalige Nordostbahn 1894 am rechten Zürichseeufer einen Schienenstrang verlegte.

Verschiedene Dampflokomotiven rangierten die Wagen auf dem Werksareal und später auch die 23 Promillestrecke hinauf bis zum Bahnhof Uetikon, wo sie von den SBB übernommen wurden. Schon früh in der Firmengeschichte stieg der Bedarf an eigenen Kesselwagen stark an, sodass sich die Investitionen in dieses betriebseigene Rollmaterial aufdrängten. Diese eigenen Tankwagen mit flüssigem Säure- oder Laugeninhalt oder anderen chemischen Produkten mussten, bevor die rechtsufrige Bahn gebaut wurde, mit sogenannten Trajektschiffen nach Wollishofen gebracht werden. Dort konnten sie wieder aufs Geleise geführt werden. Escher Wyss in Zürich hatte das 100 Tonnen Schiff gebaut, immer fünf Güterwagen der damaligen Normlänge fanden darauf Platz. Immerhin war diese Transportweise deutlich weniger umständlich, als die Ware mit Fuhrwerken nach Zürich oder in die weite Welt zu verfrachten. Stückgut, also kleinere Warenmengen, wurden per Ruderboot nach Wädenswil gebracht und dort weiterverschickt.

Der SBB geholfen

Mit der Zeit wich die Dampfkraft dem Dieselantrieb und es kam in der Anfangszeit der S- Bahn auch vor, dass die Betriebsbahn den stehengebliebenen SBB Zügen aus der Patsche half. Bei der Spedition musste peinlich genau darauf geachtet werden, dass für die jeweiligen Chemikalien die richtigen Innenverkleidungen der Tankwagen gewählt wurden. Manche der 150 Tankwagen waren innen emailliert, andere bestanden aus bis zu 15 Millimeter Normalstahl und wieder andere aus rostfreiem Stahl. Noch andere wurden innwendig ausgummiert um Korrosion auf der Fahrt zu vermeiden.

«Chemie war nie mein Hobby», sagt der der rüstige Rentner Hansruedi Knopf mit einem Lächeln. «Ich musste einfach wissen, was wozu gebraucht wurde und die richtige Wahl der Zisternenwagen zu treffen.» Dank sorgfältiger Planung und vielleicht auch etwas Glück sei auch nie etwas wirklich Schlimmes passiert auf all den Millionen von Kilometern, die diese Wagen in den Jahrzehnten ihres Bestehens zurückgelegt hatten.

Die chemischen Stoffe wurden mit Trajektschiffen zwischen Wollishofen und Uetikon befördert. Bild: Wirtschaftsarchiv Basel.

Die chemischen Stoffe wurden mit Trajektschiffen zwischen Wollishofen und Uetikon befördert. Bild: Wirtschaftsarchiv Basel.

Heute haben andere Transportmittel die Betriebseisenbahn abgelöst.

Heute haben andere Transportmittel die Betriebseisenbahn abgelöst.

Die Relikte der Betriebsbahn sind auf dem Fabrikgelände nicht zu übersehen.

Die Relikte der Betriebsbahn sind auf dem Fabrikgelände nicht zu übersehen.

Nur an einen grösseren Zwischenfall erinnert sich Knopf, als ein Wagen mit Säurefässern, die für Libyen bestimmt waren, in Italien angefangen haben, ihre ätzende Ladung zu verlieren. Da musste schnell und generalstabsmässig vorgegangen werden, da nicht nur Sicherheitsfragen geklärt werden mussten, sondern auch die Zollbehörden und die Verantwortlichen der Bahn mussten zufriedengestellt werden. Ein kleiner Bahnkonvoi mit Tankwagen aus der Schweiz vermochte dann den Schaden zu begrenzen und alle beteiligten Stellen zufrieden zu stellen. Der Inhalt der Fässer musste sorgfältig in die in aller Eile hingebrachten Wagen umgepumpt werden.

Selten grössere Zwischenfälle

Aber auch diese Schwierigkeiten erzählt der Zeitzeuge Knopf, als sei es bloss eine Übung gewesen. Seine Flexibilität erlaubte ihm auch in schwierigen Momenten einen kühlen Kopf zu bewahren. In der Fabrik selber sei es auch selten zu grösseren Zwischenfällen gekommen, nur einmal, und beim Erzählen gerät Knopf ins Stocken, sei ein Kleinbagger durch Rohstoffe verschüttet worden und habe einen Mitarbeiter erdrückt. Sonst beschränkten sich die Vorfälle auf Verbrennungen mit Säure, wenn jemand die Sicherheitsvorschriften etwas allzu fahrlässig auslegte. Zu grossem Schaden sei dabei aber nie jemand gekommen.

Geholfen hat ihm in seiner Arbeit auch der rege und regelmässige Austausch mit Transportunternehmungen und der direkte Draht zu Lieferanten und Kunden. In sogenannten Erfahrungsgruppen besprachen die Logistiker auch mit konkurrierenden Firmen ihren Arbeitsalltag.

Betriebsklima änderte sich

Laut Hansruedi Knopf richtete sich in der Anfangszeit seiner Anstellung bei der Chemischen Fabrik die Betriebsplanung noch oft nach den vorhandenen Mitarbeitern: Sie nahm auf deren Bedüfnisse Rücksicht. Das Betriebsklima habe sich aber ab den 1980er Jahren mit jedem neuen Manager verändert. Das starke soziale Gewissen der Gründerfamilien sei mit der Zeit aus der Betriebskultur verschwunden.

Die Manager kamen und gingen, mancher habe gleich noch seine Vertrauten mitgebracht und diese an den wichtigsten Stellen positioniert. Doch der Strukturwandel liess sich nicht aufhalten. Zwei Jahre, bevor es soweit war, wusste Knopf, dass seine Stelle der Rationalisierung geopfert werden würde, und dass er vorzeitig in Pension gehen könne. Auch wenn er betont, dass ihn die Fabrik heute nicht mehr besonders interessiert und er gerne wandern geht, Bücher liest und sich Haus und Garten widmet, ganz losgelassen hat ihn der ehemalige Arbeitgeber dennoch nicht. Durch seine Tätigkeit im Uetiker Museum begegnet er immer wieder Geschichten, die mit der im Dorf omnipräsenten Chemischen zu tun haben. Nicht zuletzt wird das sein, wenn die geplante Mittelschule auf dem Fabrikareal eingeweiht wird und der letzte Betriebsgüterwagen aus der ersten Serie von 1885 aufgestellt werden soll, um an die 200 Jahre Betriebsgeschichte zu erinnern. Dies eine Idee, auf deren Umsetzung Knopf hofft.

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